Mittwoch, 27. November 2013

Interkulturelles - Tischmanieren



Das Thanksgiving-Wochenende naht, und unsere amerikanischen Freunde machen sich auf, den Tag mit ihren Familien zu verbringen. Was werden sie da tun? Hauptsächlich essen. Truthahn und alle möglichen Varianten des ebenfalls auf dem amerikanischen Kontinent beheimateten Kürbis. Vom großen dicken, wie er uns auch an Halloween begegnet bis hin zu kleineren und geschmacksintensiveren Arten wie dem Butternut Squash oder dem Acorn Squash.

Beim Thema Essen fällt mir ein weit verbreiteter interkultureller Irrtum ein, den ich hier einmal richtig stellen möchte: Seit meiner Kindheit begegne ich immer wieder der Information, die Tischsitten in den USA verlangten, erst alles auf dem Teller kurz und klein zu schneiden, um es dann ganz ungeniert mit der Gabel in sich reinzuschaufeln.

Seit ich denken kann und meine eigenen Schlüsse ziehen kann, lautet einer dieser Schlüsse: Konservative und Linke in Deutschland werden sich immer über eins einig sein, nämlich über den Satz ˮdie Amerikaner haben keine Kultur“. Also stellt man sich vor, sie ziehen ihr Messer aus dem Stiefelschaft, schneiden das Steak klein, und das einzige Zugeständnis an die Zivilisation ist, dass sie dann eine Gabel nehmen, um die einzelnen Stücke zum Mund zu führen, und sie nicht mit dem Messer aufspießen.

Wie so viele Vorurteile gedeiht dieses natürlich auch dort am prächtigsten, wo man es noch nie an der eigenen Anschauung überprüfen konnte, in diesem Fall also noch nie mit Amerikanern zu Tische gesessen hat. (Sie sind übrigens um einiges gastfreundlicher als die Deutschen – dort muss niemand diesen oder auch den Weihnachtsabend allein verbringen.) Wenn man das Vergnügen hatte, mit ihnen zu Tische zu sitzen, dann wird einem auffallen, dass sie in der Tat anders mit Messer und Gabel umgehen, als das hierzulande üblich ist.

Die feine amerikanische Art geht so: Messer und Gabel in beiden Händen, Verteilung je nachdem, ob man Links- oder Rechtshänder ist. Man schneidet einen Bissen vom Fleisch ab, legt dann das Messer auf die Seite, nimmt die Gabel in die Hand, die vorher das Messer gehalten hat, dann sticht man damit in das abgeschnittene Stück Fleisch hinein, um es zum Mund zu führen. Und das widerholt man, bis das Fleisch auf dem Teller aufgegessen ist. Messer in die Hand, Stück abschneiden, auf die Seite legen, Gabel wechselt von der einen in die andere Hand …

Wie aus dieser Gepflogenheit das oben erwähnte Vorurteil hat werden können, kann ich mir nur durch eine Überdosis Westernfilme erklären.

Wer beschreibt jedoch mein Erstaunen, als ich zurück in Europa eine französische Freundin genau dieses Ritual vollziehen sah? Als ich sie darauf ansprach, erzählte sie mir, Ihre Großmutter sei Hausangestellte bei sehr feinen Leuten gewesen, und sie habe dann ihren Kindern diese Tischmanieren beigebracht, um sicherzustellen, dass diese sich in der französischen Klassengesellschaft nicht selbst im Weg nach oben stehen würden – zumindest nicht mit ihren Tischmanieren.

Oberschichtverhalten also, das man als Aufsteiger beherrschen sollte. Vielleicht hat ja jemand schon einmal erforscht, wie dieses französische Oberschichtverhalten in die egalitäre Gesellschaft auf der anderen Seite des Atlantik gelangt ist. Eine könnte es getan haben, sie ist Kulturwissenschaftlerin die sich auf das Phänomen Manieren spezialisiert hat, und ich werde sie immer in respektvoller Erinnerung bewahren. Ich hörte sie in einem Vortrag den folgenden Satz äußern: ˮThe fork has always been a formidable weapon in class warfare.“ Man könnte hinzufügen "in intercultural warfare" ... Die Kulturwissenschaftlerin heißt übrigens Judith Martin; sie schreibt unter dem Namen Miss Manners  http://en.wikipedia.org/wiki/Judith_Martin  

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen