Das Thanksgiving-Wochenende naht, und
unsere amerikanischen Freunde machen sich auf, den Tag mit ihren Familien zu
verbringen. Was werden sie da tun? Hauptsächlich essen. Truthahn und alle
möglichen Varianten des ebenfalls auf dem amerikanischen Kontinent beheimateten
Kürbis. Vom großen dicken, wie er uns auch an Halloween begegnet bis hin zu
kleineren und geschmacksintensiveren Arten wie dem Butternut Squash oder dem
Acorn Squash.
Beim Thema Essen fällt mir ein weit
verbreiteter interkultureller Irrtum ein, den ich hier einmal richtig stellen
möchte: Seit meiner Kindheit begegne ich immer wieder der Information, die
Tischsitten in den USA verlangten, erst alles auf dem Teller kurz und klein zu
schneiden, um es dann ganz ungeniert mit der Gabel in sich reinzuschaufeln.
Seit ich denken kann und meine eigenen
Schlüsse ziehen kann, lautet einer dieser Schlüsse: Konservative und Linke in
Deutschland werden sich immer über eins einig sein, nämlich über den Satz ˮdie
Amerikaner haben keine Kultur“. Also stellt man sich vor, sie ziehen ihr Messer
aus dem Stiefelschaft, schneiden das Steak klein, und das einzige Zugeständnis
an die Zivilisation ist, dass sie dann eine Gabel nehmen, um die einzelnen
Stücke zum Mund zu führen, und sie nicht mit dem Messer aufspießen.
Wie so viele Vorurteile gedeiht dieses
natürlich auch dort am prächtigsten, wo man es noch nie an der eigenen
Anschauung überprüfen konnte, in diesem Fall also noch nie mit Amerikanern zu
Tische gesessen hat. (Sie sind übrigens um einiges gastfreundlicher als die
Deutschen – dort muss niemand diesen oder auch den Weihnachtsabend allein
verbringen.) Wenn man das Vergnügen hatte, mit ihnen zu Tische zu sitzen, dann
wird einem auffallen, dass sie in der Tat anders mit Messer und Gabel umgehen,
als das hierzulande üblich ist.
Die feine amerikanische Art geht so:
Messer und Gabel in beiden Händen, Verteilung je nachdem, ob man Links- oder
Rechtshänder ist. Man schneidet einen Bissen vom Fleisch ab, legt dann das
Messer auf die Seite, nimmt die Gabel in die Hand, die vorher das Messer
gehalten hat, dann sticht man damit in das abgeschnittene Stück Fleisch hinein,
um es zum Mund zu führen. Und das widerholt man, bis das Fleisch auf dem Teller
aufgegessen ist. Messer in die Hand, Stück abschneiden, auf die Seite legen,
Gabel wechselt von der einen in die andere Hand …
Wie aus dieser Gepflogenheit das oben
erwähnte Vorurteil hat werden können, kann ich mir nur durch eine Überdosis
Westernfilme erklären.
Wer beschreibt jedoch mein Erstaunen,
als ich zurück in Europa eine französische Freundin genau dieses Ritual vollziehen
sah? Als ich sie darauf ansprach, erzählte sie mir, Ihre Großmutter sei
Hausangestellte bei sehr feinen Leuten gewesen, und sie habe dann ihren Kindern
diese Tischmanieren beigebracht, um sicherzustellen, dass diese sich in der
französischen Klassengesellschaft nicht selbst im Weg nach oben stehen würden –
zumindest nicht mit ihren Tischmanieren.
Oberschichtverhalten also, das man als
Aufsteiger beherrschen sollte. Vielleicht hat ja jemand schon einmal erforscht,
wie dieses französische Oberschichtverhalten in die egalitäre Gesellschaft auf
der anderen Seite des Atlantik gelangt ist. Eine könnte es getan haben, sie ist
Kulturwissenschaftlerin die sich auf das Phänomen Manieren spezialisiert hat, und
ich werde sie immer in respektvoller Erinnerung bewahren. Ich hörte sie in
einem Vortrag den folgenden Satz äußern: ˮThe fork has always been a formidable
weapon in class warfare.“ Man könnte hinzufügen "in intercultural warfare" ... Die Kulturwissenschaftlerin heißt
übrigens Judith Martin; sie schreibt unter dem Namen Miss Manners http://en.wikipedia.org/wiki/Judith_Martin
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