Über die
Feiertage habe ich ˮThe Luminaries“ von Eleanor Catton gelesen, das Buch, das
im gerade vergangenen Jahr den Man Booker Prize gewonnen hat. Es ist ein
großartiges Buch, und ich habe mehr als einmal beim Lesen laut gelacht, oder zu
meinem Mann gesagt, wie toll ich es finde. Da sagte mein Mann, gut, wenn es
dann auf Deutsch herauskommt, werd ich es auch lesen.
Nö, sagte ich
da, warte lieber, bis irgendjemand einen schönen Kostümfilm aus diesem Buch
macht, das wird besser sein, als es eine Übersetzung je sein kann.
Ohne irgendeinem
Übersetzer (m/w) zu nahe treten zu wollen, glaube ich nicht, dass man dieses
Buch übersetzen sollte. Es ist eine Parodie auf den viktorianischen Roman – es
ist also im Stil des späten 19. Jahrhunderts geschrieben. Dennoch ist es
natürlich ein modernes Buch, und ein großer Teil seines Charmes besteht in der
Spannung zwischen einer modernen Erzählweise und der viktorianischen Sprache
und umgekehrt. Niemand hätte zum Beispiel in viktorianischen Zeiten das Wort
ˮHure“ gebraucht, aber eine der beiden Protagonistinnen ist eine Hure, und wird
auch als solche bezeichnet. Wie im viktorianischen Roman unerlässlich, ist sie
natürlich durch dunkle Machenschaften zu dieser Art der Betätigung gezwungen
worden, und diese Machenschaften werden ebenfalls ausführlich dargelegt. Unter
anderem hat man sie mit Alkohol und Opium abgefüllt, um ihr dann eine gesalzene
Rechnung für die konsumierten Drogen zu präsentieren. All diese Dinge wären in
einem echten viktorianischen Roman umschrieben und impliziert worden, so dass
der welterfahrene Leser sie sich zusammenreimen konnte, aber die unerfahrene
Leserin nur mit einem gewissen Schaudern
zu dem Schluss kommen würde, dass sie sich besser gar nicht erst in jene böse
Welt hinaus wagen sollte, in der man derart zu Schaden kommen konnte – wobei
die Art des Schadens sich dem unaufgeklärten weiblichen Publikum nicht wirklich
erschlossen haben dürfte. Schließlich bestand die voreheliche Aufklärung der
besseren Töchter jener Zeit in dem Satz ˮclose your eyes and think of England“.
Eleanor Cattons
Buch spielt mit der Diskrepanz zwischen den erzählten Tatbeständen und der
Sprache, in der sie erzählt werden. Mit eingestreuten Bemerkungen des
auktorialen Erzählers zwinkert sie dem modernen Leser immer wieder zu. Der Reiz
des Buches erschließt sich nur, wenn man diesen sprachlichen Balance-Akt auch
erkennen kann, und ich bezweifle, dass er übersetzbar ist. Deshalb habe ich
meinem Mann geraten, seine Zeit nicht auf eine zwangsläufig unzureichende
deutsche Übersetzung zu verwenden, sondern auf die Verfilmung dieser herrlichen
Geschichte zu warten.
In den
Siebziger Jahren gab es einen ganz ähnlichen Fall: Es war das Buch ˮFanny“ von
Erica Jong. Dieses Buch wurde ebenfalls in der Manier einer vergangenen Zeit
geschrieben – wesentlich länger vergangen als das viktorianische Zeitalter. In
ˮFanny“ entführte uns die Autorin ins 18. Jahrhundert, in eine Welt der
Frühkolonialisten und Freibeuter, und sie handhabte die Sprache jener Zeit
höchst meisterlich.
Natürlich hatten wir es auch hier mit einer modernen
Geschichte zu tun, die Ideen enthält, auf die zur Zeit der Handlung des Buches
niemand gekommen wäre. Besonders eine Dreiecksgeschichte wird erzählt, die nur im
späten 20. Jahrhundert in einem massentauglichen Buch erscheinen konnte: Eine Frau
liebt einen Mann A, der aber liebt einen anderen Mann B, und Mann B wiederum
liebt die Frau. So lieben sie sich alle, und können doch nicht zusammen kommen.
Ein weiteres modernes Element waren explizite Sex-Szenen.
Die Siebziger
Jahre des vorigen Jahrhunderts waren auch die Zeit der Entdeckung der
literarischen Pornografie, und so wollte sich natürlich der deutsche Verlag der
Autorin kein leicht zu verdienendes Geld entgehen lassen, und ließ ˮFanny“
übersetzen. Das Buch wurde in eine triviale moderne Sprache übertragen, die
jenen Lesern entgegen kam, die nur an den pornografischen Elementen Interesse hatten (dass diese von einer
Frau geschrieben worden waren, erhöhte noch den ˮStellen“ – Wert). Von
Literatur keine Spur mehr.
Der großen –
nicht zuletzt akademischen – Leistung der Autorin Erica Jong ist mit dieser
Übersetzung großes Unrecht getan worden, und ich hoffe sehr, dass die deutsche
Übersetzung von Eleanor Cattons Roman besser sein wird. Einerseits ist der
Abstand zum späten 19. Jahrhundert nicht so groß wie zum 18., und deshalb ist
ein Element der Übersetzungs-Aufgabe etwas einfacher. Was nicht einfacher sein
wird, sondern die Aufgabe erheblich erschwert, ist die Ironie, die dem Erzählton
des Romans zugrunde liegt. Ironie kann man nicht übersetzen.
Das ist mir bei meiner letzten Lektüre aufgefallen "Ein diskreter Held" von Mario Vargas Llosa. Der Übersetzer dieses Werks hat vor kurzem einen Übersetzer-Preis erhalten. Dennoch gelingt es ihm nicht, die Ironie und den Sarkasmus zu übersetzen, der bei den Peruanern in einem Diminutiv versteckt sein kann, denn das ist im Deutschen mit den Nachsilben "-chen" oder "-lein" einfach nicht vorgesehen.
Warum ich auch sonst nicht glaube, dass man das neueste Buch von Vargas Llosa unbedingt gelesen haben muss, das gehört nicht hierher, denn es ging mir hier ausschließlich um ein weiteres Beispiel für die Unübersetzbarkeit von Ironie und Sarkasmus.
Warum ich auch sonst nicht glaube, dass man das neueste Buch von Vargas Llosa unbedingt gelesen haben muss, das gehört nicht hierher, denn es ging mir hier ausschließlich um ein weiteres Beispiel für die Unübersetzbarkeit von Ironie und Sarkasmus.
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