Montag, 13. Januar 2014

Kann man Literatur überhaupt übersetzen?



Über die Feiertage habe ich ˮThe Luminaries“ von Eleanor Catton gelesen, das Buch, das im gerade vergangenen Jahr den Man Booker Prize gewonnen hat. Es ist ein großartiges Buch, und ich habe mehr als einmal beim Lesen laut gelacht, oder zu meinem Mann gesagt, wie toll ich es finde. Da sagte mein Mann, gut, wenn es dann auf Deutsch herauskommt, werd ich es auch lesen. 


Nö, sagte ich da, warte lieber, bis irgendjemand einen schönen Kostümfilm aus diesem Buch macht, das wird besser sein, als es eine Übersetzung je sein kann. 


Ohne irgendeinem Übersetzer (m/w) zu nahe treten zu wollen, glaube ich nicht, dass man dieses Buch übersetzen sollte. Es ist eine Parodie auf den viktorianischen Roman – es ist also im Stil des späten 19. Jahrhunderts geschrieben. Dennoch ist es natürlich ein modernes Buch, und ein großer Teil seines Charmes besteht in der Spannung zwischen einer modernen Erzählweise und der viktorianischen Sprache und umgekehrt. Niemand hätte zum Beispiel in viktorianischen Zeiten das Wort ˮHure“ gebraucht, aber eine der beiden Protagonistinnen ist eine Hure, und wird auch als solche bezeichnet. Wie im viktorianischen Roman unerlässlich, ist sie natürlich durch dunkle Machenschaften zu dieser Art der Betätigung gezwungen worden, und diese Machenschaften werden ebenfalls ausführlich dargelegt. Unter anderem hat man sie mit Alkohol und Opium abgefüllt, um ihr dann eine gesalzene Rechnung für die konsumierten Drogen zu präsentieren. All diese Dinge wären in einem echten viktorianischen Roman umschrieben und impliziert worden, so dass der welterfahrene Leser sie sich zusammenreimen konnte, aber die unerfahrene Leserin nur mit einem gewissen Schaudern zu dem Schluss kommen würde, dass sie sich besser gar nicht erst in jene böse Welt hinaus wagen sollte, in der man derart zu Schaden kommen konnte – wobei die Art des Schadens sich dem unaufgeklärten weiblichen Publikum nicht wirklich erschlossen haben dürfte. Schließlich bestand die voreheliche Aufklärung der besseren Töchter jener Zeit in dem Satz ˮclose your eyes and think of England“. 


Eleanor Cattons Buch spielt mit der Diskrepanz zwischen den erzählten Tatbeständen und der Sprache, in der sie erzählt werden. Mit eingestreuten Bemerkungen des auktorialen Erzählers zwinkert sie dem modernen Leser immer wieder zu. Der Reiz des Buches erschließt sich nur, wenn man diesen sprachlichen Balance-Akt auch erkennen kann, und ich bezweifle, dass er übersetzbar ist. Deshalb habe ich meinem Mann geraten, seine Zeit nicht auf eine zwangsläufig unzureichende deutsche Übersetzung zu verwenden, sondern auf die Verfilmung dieser herrlichen Geschichte zu warten. 


In den Siebziger Jahren gab es einen ganz ähnlichen Fall: Es war das Buch ˮFanny“ von Erica Jong. Dieses Buch wurde ebenfalls in der Manier einer vergangenen Zeit geschrieben – wesentlich länger vergangen als das viktorianische Zeitalter. In ˮFanny“ entführte uns die Autorin ins 18. Jahrhundert, in eine Welt der Frühkolonialisten und Freibeuter, und sie handhabte die Sprache jener Zeit höchst meisterlich. 

Natürlich hatten wir es auch hier mit einer modernen Geschichte zu tun, die Ideen enthält, auf die zur Zeit der Handlung des Buches niemand gekommen wäre. Besonders eine Dreiecksgeschichte wird erzählt, die nur im späten 20. Jahrhundert in einem massentauglichen Buch erscheinen konnte: Eine Frau liebt einen Mann A, der aber liebt einen anderen Mann B, und Mann B wiederum liebt die Frau. So lieben sie sich alle, und können doch nicht zusammen kommen. Ein weiteres modernes Element waren explizite Sex-Szenen.


Die Siebziger Jahre des vorigen Jahrhunderts waren auch die Zeit der Entdeckung der literarischen Pornografie, und so wollte sich natürlich der deutsche Verlag der Autorin kein leicht zu verdienendes Geld entgehen lassen, und ließ ˮFanny“ übersetzen. Das Buch wurde in eine triviale moderne Sprache übertragen, die jenen Lesern entgegen kam, die nur an den pornografischen Elementen Interesse hatten (dass diese von einer Frau geschrieben worden waren, erhöhte noch den ˮStellen“ – Wert). Von Literatur keine Spur mehr. 


Der großen – nicht zuletzt akademischen – Leistung der Autorin Erica Jong ist mit dieser Übersetzung großes Unrecht getan worden, und ich hoffe sehr, dass die deutsche Übersetzung von Eleanor Cattons Roman besser sein wird. Einerseits ist der Abstand zum späten 19. Jahrhundert nicht so groß wie zum 18., und deshalb ist ein Element der Übersetzungs-Aufgabe etwas einfacher. Was nicht einfacher sein wird, sondern die Aufgabe erheblich erschwert, ist die Ironie, die dem Erzählton des Romans zugrunde liegt. Ironie kann man nicht übersetzen.

Das ist mir bei meiner letzten Lektüre aufgefallen "Ein diskreter Held" von Mario Vargas Llosa. Der Übersetzer dieses Werks hat vor kurzem einen Übersetzer-Preis erhalten. Dennoch gelingt es ihm nicht, die Ironie und den Sarkasmus zu übersetzen, der bei den Peruanern in einem Diminutiv versteckt sein kann, denn das ist im Deutschen mit den Nachsilben "-chen" oder "-lein" einfach nicht vorgesehen. 

Warum ich auch sonst nicht glaube, dass man das neueste Buch von Vargas Llosa unbedingt gelesen haben muss, das gehört nicht hierher, denn es ging mir hier ausschließlich um ein weiteres Beispiel für die Unübersetzbarkeit von Ironie und Sarkasmus.  

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