Nachdem ich viel zu lange gar nichts gepostet habe, heute endlich wieder ein Eintrag zu meinem immer wiederkehrenden Lieblingsthema. Als Vorbemerkung hier noch einmal meine Definition eines
bescheuerten Anglizismus:
Ein Anglizismus ist bescheuert, wenn es im Deutschen eine klare und verständliche Entsprechung des englischen Begriffes gibt. Beipiel: ”Ich hab mir da mal was downgeloadet“. Dieses Beispiel illustriert die Bescheuertheit besonders gut, denn nicht nur wird hier ein englisches Wort verwendet, für das es im Deutschen eine geeignete Entsprechung gibt, sondern es wird auch eine deutsche Konjugation auf ein Wort aufgepfropft, das für eine solche Konjugation nicht gedacht war. Wir haben hier also einen sowohl lexikalisch als auch grammatikalisch bescheuerten Anglizismus vor uns.
Und jetzt zu meinem heutigen Anliegen, dem Verschwinden des schönen deutschen Wortes *man*, und sonst noch ein paar Überlegungen zur Idiomatik der deutschen Sprache:
In der “Grammar Geeks”-Gruppe auf LinkedIn hat Michael Tremberth neulich mit folgendem Post eine sehr angeregte Diskussion losgetreten:
Often in interviews *you* hear (sorry, the listener hears) the interviewee saying something like "when *you* realise *you've* made a mistake"; on such an occasion *you* is ambiguous. If it refers to the experience of the interviewee it should be "I"; if it addresses the interviewer it should indeed be 'you'; if it is a generality about human experience it may mean anyone, he, she, they, whoever. So, don't use the generalised *you* - it could mean anything. …
In Interviews hört *man* oft (Entschuldigung, der Zuhörer hört) dass der/die Interviewte solche Dinge sagt wie: ”wenn *man* merkt, dass *man* einen Fehler gemacht hat“. In dieser Situation ist *man* zweideutig. Bezieht es sich auf eine Erfahrung des/der Interviewten selbst, sollte ”ich“ verwendet werden, bezieht es sich auf den/die Interviewende/n, sollte die zweite Person, also ”Sie“ oder ”du“ verwendet werden, und wenn es eine allgemeingültige Bemerkung über die Menschheit ist, dann bedeutet es jede/r, er, sie, wer auch immer. Man sollte also nicht dieses generalisierende *man* verwenden – das kann alles und nichts bedeuten. …
Ich fand diesen Text bemerkenswert, weil er einen englischen
Sprachgebrauch thematisiert, den ich eigentlich für unumstritten gehalten
hatte. Michael Tremberth spricht sich dafür aus, dieses unpersönliche *you*
nicht zu verwenden, weil es zu vieldeutig sei, und weil es präzisere Optionen
gebe.
Das fand ich interessant, denn diese Einwände lassen sich ja auch gegen unser Wort *man* erheben. Ich habe nämlich in der Schule noch gelernt, dass dieses Wort *man* die richtige Übersetzung des unpersönlichen *you* im Englischen sei, und wie der/die geneigte Leser/in auch unschwer feststellen kann, habe ich im meiner Übersetzung dieses unpersönliche*you* auch durchgängig mit *man* übersetzt. Ich stehe da allein auf weiter Flur.
Zunächst dachte ich, als ich Michael Tremberth’s Text gelesen hatte, naja, das Problem haben wir im Deutschen nicht, wir haben ja das schöne Wörtchen *man*. Bei *man* weiß jeder, dass es alles und nichts bedeuten kann, und deshalb empfinden wir die Vieldeutigkeit nicht als störend. Doch dann traten mir – alptraumartig – die überlebensgroßen Gesichter von Oliver Kahn und Franz Beckenbauer vor Augen und Ohren, wie sie darüber schwadronieren, was *du* machen musst, wenn der Gegner, oder wenn sonst was. Der Alptraum ist: Die beiden stehen stellvertretend für eigentlich Alle.
Es hat wohl damit angefangen, dass – lange bevor bing in unser Leben trat – faule oder unter Zeitdruck stehende Übersetzer die von Michael Tremberth zitierten Interviews, vorzugsweise solche mit Popstars, ins Deutsche übersetzten, und *du* sagten, wo in Original *you* stand. Das muss irgendwann in den Sechziger Jahren gewesen sein, als die englisch-sprachige Popmusik ins Zentrum des Interesses deutscher Jugendlicher rückte. Fünfzig Jahre später sind die Jugendlichen von einst erwachsen und dieses *du* hat unser wunderbares Wort *man* auch im originär deutschen Sprachgebrauch fast vollkommen verdrängt.
Noch länger liegen die ersten Übersetzungen von Krimis zurück, in denen der Leser persönlich angesprochen wird, besonders Raymond Chandler hat sich bei uns großer Beliebtheit erfreut. Ich weiß nicht ob die Übersetzer damals darüber nachgedacht haben, aber sie haben in diesen Krimis durchgängig *you* mit der direkten Anrede *Sie* übersetzt. Immerhin haben sie den geneigten Leser/die geneigte Leserin mit*Sie* angeredet, mag man sagen, aber ich finde, sie hätten sich ein paar mehr Gedanken machen sollen, wie man diese im Deutschen doch recht plump klingende direkte Anrede vermeiden kann.
Jedenfalls kam es, wie es kommen musste. Leider weiß ich die Namen der Autoren nicht mehr – aber ich habe Krimis aus den Siebzigern/Achtzigern gelesen, die sich lasen wie schlechte Übersetzungen von Raymond Chandler, hauptsächlich deshalb, weil der/die Leser/in ständig persönlich – mit *Sie* - angesprochen wurde. Ich weiß diese Autorennamen nicht mehr, weil ich die fraglichen Bücher auf dem schnellsten Weg entsorgt habe, denn ich finde es ja schon schlimm , einen schlecht übersetzten Text lesen zu müssen, also musste ich es doppelt schlimm finden, einen originär deutschen Text vorzufinden, der so verfasst ist, als ob er aus einer anderen Sprache übersetzt worden sei.
Aus meiner Übersetzung der Tremberthschen Textpassage geht auch mein Ansatz als Übersetzerin hervor – der Text sollte sich lesen wie ein originär in der Zielsprache verfasster Text. In der fraglichen Passage ist der deutsche Text beträchtlich länger als das Original; vielleicht ist das der Grund, warum die Übersetzer sich scheuen, idiomatisch zu übersetzen.
Im Zeitalter der maschinellen Übersetzung ist es ohnehin illusorisch, den feinen Unterschied zwischen einem persönlichen und einem unpersönlichen *you* herausarbeiten zu wollen. Die Mitglieder der besagten Gruppe bei LinkedIn sind sich übrigens einig, dass Maschinenübersetzung in manchen Fällen mehr Arbeit verursacht als sie einspart. Ich nutze sie nicht, aber sie beeinflusst natürlich, wie wir sprechen und denken, denn das Zeitalter der Maschinenübersetzung ist ja auch das Zeitalter des Zeitmangels, und keiner macht sich mehr die Mühe, die Sprachen sauber zu trennen.
Um auf meine Definition des bescheuerten Anglizismus zurückzukommen: Das Verschwinden unseres Wortes *man* ist aus zwei Gründen besonders bedauerlich: Es musste wegen fehlerhafter Übersetzungen aus dem Sprachgebrauch verschwinden, und es ist sprachlich eigentlich die bessere Lösung als das englische unpersönliche *you*.
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