Die moderne Medizin und die Lebensmittel-Aufsicht haben dafür
gesorgt, dass heutzutage niemand mehr Darmparasiten zu fürchten braucht, und
diejenigen Arten, die auf den Homo Sapiens als Wirtstier angewiesen sind, haben
zumindest bei uns ernsthafte Überlebensprobleme. Eine Gattung dieser
Lebensgefährten hat allerdings in einem sehr deutschen Wort überlebt. Ich meine
den Bandwurm. Anders als manche andere Parasiten fristet der, eingebettet in
das Kompositum „Bandwurmsatz“ ein zufriedenes Dasein, um das andere Parasiten
seiner Art ihn nur beneiden können.
Man sollte meinen, dass eine Sprache gut auf sich aufpasst,
wenn sie Sätze, die wegen ihrer Länge unverständlich sind, mit einem so
unangenehmen Tier wie einem Darmparasiten bezeichnet. Weit gefehlt. Hier ist
ein Beispiel dafür, wie man nicht schreiben sollte. Ich habe bewusst eins
genommen, das von einem über jede Kritik erhabenen großen Geist stammt, von
Karl Kraus. Ich hätte auch eins von einem anderen der Großen seiner Zeit oder
von einem Heutigen nehmen können.
Geschrieben hat Karl Kraus das Folgende nach dem ersten
Weltkrieg. Er war einer der wenigen, die diesen Krieg und die, die ihn
eskalieren ließen, von Anfang an verurteilt hat. Es soll hier also ausdrücklich
nicht um inhaltliche Kritik gehen. Man kann ihm aus heutiger Sicht nur
zustimmen – wenn man einmal verstanden hat, was er denn meint.
„Keineswegs hat die deutsche Intelligenz,
welche wie die keines andern Landes, vom ersten Dichter bis zum letzten
Reporter, vom ersten Völkerrechtsprofessor bis zum letzten Pastor, in der
feldgrauen Materie gesiehlt, im fremden Bluterlebnis geschwelgt, ja vielfach
von dieser Haltung ihre Existenz gefristet und durch den Claqueurdienst für
Haudegen die eigene Unversehrtheit errungen hat, keineswegs hat die Barbarei
der Bildung auch nur den geringsten Anspruch auf Mitleid […].“
Äh, wer hat hier was gemacht, wer hat keinen Anspruch auf
Mitleid, und warum?
Ich hab das mal umgeschrieben:
„Mitleid für die
deutsche Intelligenz? Keineswegs. Wie in keinem anderen Land hat die deutsche
Intelligenz vom ersten Dichter bis zum letzten Reporter, vom ersten
Völkerrechtsprofessor bis zum letzten Pastor, in der feldgrauen Materie
gesiehlt, im fremden Bluterlebnis geschwelgt, und sich ihre eigene
Unversehrtheit durch den Claqueurdienst für die Haudegen errungen. Nein, diese
Barbarei der Bildung hat auch nicht den geringsten Anspruch auf Mitleid … “
Was habe ich gemacht? Ich habe nur auf Hauptsätze
umgestellt, und schon kriegt man beim ersten Lesen mit, was dieser Absatz
eigentlich sagen soll. Durch die vorangestellte rhetorische Frage habe ich den
polemischen Ton noch verstärkt, und ich habe selbstverständlich alle Injurien
beibehalten, denn die Injurien sind es ja, die Kraus ausmachen und wegen derer
wir ihn heute noch verehren.
Warum habe ich mir die Mühe gemacht, dieses Exempel zu statuieren?
Einmal natürlich aus beruflichen Gründen – obwohl mich
gelegentlich jemand dafür bezahlt, dass ich Texte lesbarer mache, wäre es mir
manchmal lieber, das wäre nicht nötig. Es tut einfach weh, manche Sachen zu
lesen.
Diese Aussage bringt mich zum zweiten Motiv für meine
Gedanken: Wie kann irgendwer erwarten, dass unser Nachwuchs noch unsere
Altvorderen zu schätzen weiß, wenn die so geschrieben haben wie der oben zitierte
Satz? Und was bieten wir ihnen für Texte an, mit denen sie lernen können, einer
Fragestellung erst einmal zu folgen, sie dann zu durchdenken, und vielleicht
auch selbst eine schriftliche Stellungnahme dazu zu verfassen?
Es wird oft angeführt, die deutsche Sprache sei nun einmal
so. Wie kommt es dann, dass es immer wieder Stilisten gibt, die man
hervorragend lesen kann, und bei denen man auf Anhieb versteht, was sie meinen?
Nein, das Sich-Berufen auf die Eigenheiten der deutschen Sprache ist ein
schwacher Vorwand für Schreiber, die sich einfach keine Mühe geben, und die
glauben, ein Text werde gewichtiger, wenn er aus was weiß ich wie vielen
ineinander verschachtelten Nebensätzen besteht.
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