Wie kommen die Lehnwörter in die Sprache?
Im Falle unserer heutigen Anglizismen liegt der Fall einfach
– ein neues Produkt aus den USA kommt auf den Markt, findet allgemeine
Akzeptanz und wird dann vollkommen selbstverständlich bei seinem Original-Namen
genannt – kein Mensch käme auf die Idee, Gesichtsbuch zu sagen.
Auch für andere Dinge, für die wir Bezeichnungen brauchen,
liegt der Fall ähnlich: Wir sind global vernetzt, in den USA kommt irgendein
Schlagwort auf, und die Meisten auf dieser Seite des Atlantiks sind zu faul,
ein Äquivalent zu prägen, oder das geht einfach nicht in der eigenen Sprache –
Beispiel Shitstorm.
Das geht im Deutschen einfach nicht, denn in unserer Sprache
ist der Gebrauch von "Scheiß-" als Präfix eindeutig definiert: Damit
wird Missfallen an der mit diesem Präfix verbundenen Sache ausgedrückt. Ein
Scheiß-Sturm im Deutschen wäre ein real statt gehabtes Wetterereignis, das
einem das Dach abgedeckt hat, oder in dem man beim Segeln gekentert ist. Für
massenhafte Missfallensbekundungen in den als "Social Media"
bezeichneten Internetkanälen bleibt also nur das Original Shitstorm.
Auch diese Social Media sind so ein Fall. Soziale Medien?
Das Adjektiv sozial hat im Deutschen einen starken karitativen Beigeschmack,
und das trifft die Bedeutung der Social Media nicht. Im Englischen ist
"social" das Adjektiv zu "Society", also Gesellschaft, es
heißt aber auch einfach gesellig, analog zum Verb "to socialize",
Umgang pflegen, beisammen sein. Hier bieten unsere Vokabeln einfach keine
treffende Übersetzungsmöglichkeit.
Aber wir nutzen ja keineswegs nur Anglizismen. Beginnend im
späten 17. Jahrhundert war die Sprache der gehobenen Stände in Deutschland
durchsetzt von Gallizismen, Lehnwörtern aus dem Französischen. Jedes
Territorial-Fürstchen dünkte sich ein Sonnenkönig (die diesbezüglichen
Baudenkmäler sind heute eine gute Einnahmequelle für den Tourismus) und so
sprach man eben Französisch. Oder was man dafür hielt.
Es gibt ein inzwischen legendär gewordenes Beispiel für
einen vollkommen abgedrehten Gebrauch englischer Wörter, die Selbstdarstellung
von Jil Sander, für die sie den Titel "Sprachpanscher des Jahres
1997" erhalten hat. So ähnlich stelle ich mir den französischen
Sprachgebrauch an den Höfen von Kleinkleckersdorf im Zeitalter des Absolutismus
vor:
"Ich habe vielleicht etwas
Weltverbesserndes. Mein Leben ist eine giving-story. Ich habe verstanden, dass
man contemporary sein muss, das future-Denken haben muss. Meine Idee war, die
hand-tailored-Geschichte mit neuen Technologien zu verbinden. Und für den
Erfolg war mein coordinated concept entscheidend, die Idee, dass man viele
Teile einer collection miteinander combinen kann. Aber die audience hat das
alles von Anfang an auch supported. Der problembewusste Mensch von heute kann
diese Sachen, diese refined Qualitäten mit spirit eben auch appreciaten.
Allerdings geht unser voice auch auf bestimmte Zielgruppen. Wer Ladyisches
will, searcht nicht bei Jil Sander. Man muß Sinn haben für das effortless, das
magic meines Stils."
Das niedrige Volk, das Zugang zum Hof suchte, entschuldigte
sich vielmals dafür, die Hohen Herrschaften zu inkommodieren.
Ein Kuriosum im Deutschen ist, dass wir viele französische
Lehnwörter, die aus den Jahrhunderten vor dem Zwanzigsten stammen, inzwischen
anglisiert haben: Der Bankier wurde zum Banker, das Appartement wurde zum
Apartment, und wo ein Unternehmen als Hinz, Kunz & Cie. firmierte – Cie.
stand für Compagnie – heißt es heute Hinz, Kunz & Co für Company.
Ein interessanter Beitrag, besonders die Sache mit den Gallizismen (wieder ein Wort gelernt).
AntwortenLöschenEr erinnert mich an eine Geschichte meiner Region: Es gibt hier in der Nähe ein Dorf namens "Croustilier", das keineswegs wie man immer bei den hier häufiger auftauchenden französisch klingenden Ortsnamen behauptet, von Hugenotten gegründet wurde. Dem Gutsbesitzer hatte wohl auch, wie bei Ihnen beschrieben, ein Wort gewählt, das man für französisch hielt.
Dieser Ort ist eigentlich nur ein Vorwerk des Dorfes "Ranft", was Rand, aber auch Kruste bedeutet. Es liegt auch am Rande unseres Landstriches. Das Vorwerk ist also ein "Ränftchen", sozusagen ein Krüstchen...mit etwas Phantasie wird daraus "Croustilier".