Mittwoch, 24. April 2013

Kochen fängt im Kopf an

Vorige Woche stand ein schöner Artikel in der Neuen Zürcher Zeitung. Er beschreibt einen Zustand, der in allen westlichen Gesellschaften ähnlich sein dürfte – immer weniger Menschen kochen noch selbst, und das, obwohl in den Fernsehsendern eine Kochshow nach der anderen läuft und man im Internet Rezepte ohne Ende finden kann:

http://www.nzz.ch/wissen/bildung/kochen-will-gelernt-sein-1.18064099

"Kochen fängt im Kopf an", sagt der Schweizer Koch Andreas Studer im Interview dazu,

http://www.nzz.ch/wissen/bildung/kochen-faengt-im-kopf-an-1.18064101

und dem ist zuzustimmen.

Aber auch wenn über den Kopf gern beteuert wird, man halte nichts von Fastfood und Fertiggerichten, sieht die Wirklichkeit anders aus – seit ich auf Twitter bin, sind in meinem Folger-Umfeld wenige Äußerungen so oft favorisiert und weiter getwittert worden wie der Satz: "Es geht doch nichts über Kochshow im TV gucken und Fertigpizza dabei essen". Außerdem habe ich nicht den Eindruck, skandalbedingte Umsatzrückgänge bei Fertiggerichten gingen über kurze Panik-Tiefs hinaus. Diese Panik-Tiefs betreffen dann auch nur das jeweilige Produkt, also beim jüngsten Skandal die Lasagne, und bestenfalls noch andere Fertiggerichte; die Hackfleisch enthalten, aber nicht die vielen anderen Fertiggerichte, die man sonst so in den Regalen und Tiefkühltruhen findet.

"Noch nie in der Geschichte der Menschheit war es so einfach wie heute, an Informationen und Hilfestellungen aus der Welt der Töpfe und Teller zu gelangen," steht in dem oben zitierten Artikel. Ich möchte dem hinzufügen, dass es auch noch nie in der Geschichte der Menschheit so einfach war wie heute in den westlichen Gesellschaften, den Arbeitsaufwand bei der Kocherei auf ein Minimum zu reduzieren. Die meisten Gerichte in den Kochsendungen werden in Echtzeit gekocht, das heißt, für keines dieser Gerichte braucht man länger als ca. eine halbe Stunde. Jamie Oliver bietet 15-Minuten-Rezepte an. "Hensslers Schnelle Nummer" dauert nie länger als 4-5 Minuten. Das ist nun wirklich nicht länger, als eine Tiefkühlpizza braucht, um heiß zu werden.

Jaaah, sagt der Kochunwillige hier, aber wenn die Köche in den Shows antreten, liegt ja alles schon so schön bereit – Gemüse geputzt, Fleisch oder Fisch portioniert, nur kleinschneiden müssen die noch selber. Wohl wahr, wir erleben alles in Echtzeit, nur nicht die Überlegung, was gekocht werden soll, den Einkauf und die Vorbereitung für den eigentlichen Kochvorgang. Dennoch bleibe ich bei meiner Feststellung, dass es noch nie in der Geschichte der Menschheit so einfach war wie hier und heute, den Arbeitsaufwand bei der Kocherei auf ein Minimum zu reduzieren.

Wer sich über den Arbeitsaufwand beim Kochen beschwert, war anscheinend schon lange nicht mehr einkaufen – inzwischen bekommt man das meiste ja schon fertig vorbereitet zu kaufen – fertig gewaschener Salat, geputzte Karotten, etc. Man muss die meisten Gemüsesorten höchstens noch mal kurz unter den Wasserhahn halten und ein bisschen schälen, oder man kauft sie tiefgefroren, da entfällt jeglicher Aufwand.

Was muss also in einem Kopf vorgehen, damit sein/e Besitzer/in kocht, anstatt Fertiggerichte warm zu machen?

Nur ein bisschen Vorausschau und Planung. Erst einmal im Supermarkt Zutaten einkaufen und keine Fertiggerichte, das kann doch nicht so schwer sein. Moderne Kühlschränke erlauben es auch, dass man wirklich nur einmal in der Woche einkaufen muss, denn in der 0-Grad-Zone hält sich Alles noch mal eine Woche länger. Wir haben die besten Voraussetzungen dafür, unseren Haushalt so zu organisieren, dass man jederzeit und aus dem Stand innerhalb einer halben Stunde ein Drei-Gänge-Menü aus unverfälschten Zutaten auf den Tisch bringen kann.

Das eigentliche Problem ist, glaube ich, Verzettelung – wir haben ständig neue Reize zu verarbeiten und kommen mit unserer Aufmerksamkeit nicht mehr nach. Heute habe ich in der Stadt eine Frau gesehen, die kam mit einem vollen Kaffeebecher in der einen Hand und ihrem Telefon in der anderen aus einem Laden heraus. Dann klemmte sie sich den Rand des Pappbechers zwischen die Zähne, um ihr Fahrrad zu fassen zu kriegen. Immerhin hat sie dann das Handy in die Tasche gesteckt, um die eine Hand richtig frei zu kriegen. Dann stieg sie mit dem immer noch vollen Kaffeebecher in der anderen Hand auf ihr Rad und schlingerte davon. Ihre ziemlich voluminöse Umhängetasche baumelte gefährlich hin und her, wodurch sie es sich unmöglich machte, mit einer Hand geraden Kurs zu halten.

Ich glaube, dieses Bild ist symptomatisch für einen Geisteszustand. Spontan wird an einem Laden halt gemacht, um einen Becher Kaffee zu kaufen, aber anstatt dann diesen Kaffee in Ruhe zu genießen, wird versucht, die verlorene Zeit wieder einzuholen, indem man mitsamt Kaffee wieder aufs Rad steigt und weiter fährt, mit der ungesicherten Tasche über der Schulter. Hätte ja Zeit gekostet, und man hätte auch den Kaffee nochmal abstellen müssen, um die noch eben auf den Gepäckträger zu klemmen, oder vielleicht kann man dem Designerstück ja auch nicht zumuten, auf einen Gepäckträger geklemmt zu werden, wer weiß.

Wenn man alles nur ganz spontan macht und nicht mal an den nächsten Moment denkt, geschweige denn an morgen, dann denkt man halt beim Einkaufen auch nicht daran, dass man gar nicht so viel im Haus zu haben braucht, um jederzeit eine Kleinigkeit kochen zu können. Da wartet man wohl lieber auf die totale Vernetzung von Kühlschrank und Smartphone mit der man dann im Supermarkt die Vorratssituation zu Hause abfragen kann, wenn man grade den Impuls hat, heute mal zu kochen.

Abgesehen davon, dass diese totale Technologisierung unserer Alltagswelt noch ein Weilchen auf sich warten lassen dürfte, habe ich allerdings meine Zweifel, dass sich dadurch etwas am Verhalten von Menschen verändern wird, die so durchs Leben schaukeln, wie ich es am Beispiel der Kaffee balancierenden Radfahrerin zu illustrieren versucht habe. Diese Radfahrerin wird mit ihrem superschlauen Telefon im Supermarkt stehen, die Rückmeldung erhalten, der Kühlschrank sei leer, und das erstbeste Fertiggericht mitnehmen, das ansprechend genug verpackt ist, oder das effektiv genug beworben worden ist.

Es ist eine Henne-Ei-Frage, ob die Lebensmittelindustrie uns kochfaul gemacht hat, oder ob sie unsere Kochfaulheit nachträglich bedient. So wie die Dinge jetzt stehen, schaukeln sich die Kochfaulheit und die Angebote der Industrie gegenseitig hoch – auch in Bio-Supermärkten übrigens. Wer gern kocht und wer selbst bestimmen will, was auf den Teller kommt, der kann sich über eine enorme Auswahl an gut vorbereiteten Zutaten erfreuen, die den Aufwand fürs Kochen immer weiter minimieren.

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