Donnerstag, 5. September 2013

Lasst mir bloß Herrn Thierse in Ruhe!





Diese Sätze fand ich grade in einer Timeline:



Auch mir ist es bei Twitter schon passiert, dass ich gerügt wurde, weil ich jemanden nicht duzte. Duzen sei Netz-Etikette, oder abgekürzt Netikette.  Gehts eigentlich noch?

Es hat sich anscheinend bei Einigen, die sich gern als Netz-Aktivisten bezeichnen, noch nicht herumgesprochen, dass das Netz schon lange nicht mehr das Parallel-Universum der jüngeren Generation ist, das es einmal war.

Es ist ein universales Medium, und es ist inzwischen zum Abbild der Gesellschaft geworden - es finden sich dort Site an Site Kommerz und Idealismus, religiöser Wahn und Aufklärung, Nazis und Antifaschisten, und eben auch Menschen, die sich nicht gleich mit Jedem duzen wollen, mit solchen, die meinen, im Netz gehöre es zum guten Ton, Alle zu duzen.

Wenn man in der realen Welt als älterer Mensch mit Jüngeren zusammenkommt, wird Duzen ganz schnell als Anbiederei interpretiert - die wahren da sehr gerne Abstand. Nicht geduzt werden zu wollen - und damit sein Gegenüber auch nicht duzen zu wollen -  hat also bestimmt nichts damit zu tun, ob jemand "offen" oder gar "entspannt" ist - es hat in diesem Fall vielleicht damit zu tun, dass dieser Jemand, Wolfgang Thiese, eine öffentliche Person ist und als solche gern ein bisschen Abstand zum Rest der Welt hält. 

Es ist doch eine zweiseitige Sache: er duzt ja auch nicht, bietet also seinem Gegenüber ebenfalls die professionelle Distanz des öffentlichen Diskurses an. 

Am meisten geht mir universelle Duzerei übrigens dort auf die Nerven, wo man mir was verkaufen will, im Apple-Store zum Beispiel. Dort wird allerdings respektiert, wenn ein Kunde gesiezt werden möchte.







Dienstag, 3. September 2013

Anglizismen und kein Ende



Und wieder branden sie hoch, die Wogen des deutschen Sprachstreites um zu viele Anglizismen. Und wie wir Deutschen so sind, sparen wir nicht mit weltanschaulichen Invektiven. Da gibt es einerseits die Fraktion, die jedes Jahr einen Anglizismus des Jahres kürt, und auf Ihrer Webseite verkündet ”wir mögen Lehnwörter nicht, wir lieben sie“ (http://www.anglizismusdesjahres.de/) und andererseits den Verein Deutsche Sprache (VDS), der soeben den Duden als Sprachpanscher des Jahres ausgezeichnet hat, weil dort so viele Lehnwörter aus dem Englischen drin stünden, für die es eigentlich gute deutsche Entsprechungen gebe. http://www.vds-ev.de/presse/pressemitteilungen/1221-duden-ist-sprachpanscher-2013-

Anatol Stefanowitsch, einer der Protagonisten hinter dem Anglizismus des Jahres, spricht dem VDS erstmal ab, überhaupt etwas von Sprache zu verstehen (http://www.sprachlog.de/2013/09/02/sprachpanscher-und-sprachpinscher/#more-6950). Zugegeben, die Beispiele, die er aus den Vorschlägen des VDS zitiert, sind schon etwas dämlich – etwa, ”Klapprechner“ für ”Laptop“ zu sagen, oder ”Nachsteller“ für ”Stalker“ – diese Begriffe sind nun schon so etabliert, dass man sie nicht mehr mit irgendetwas Anderem wird ersetzen können. 

Was mir in dieser ganzen Debatte immer wieder aufstößt, ist der denunziatorische Ton, in dem auf beiden Seiten argumentiert wird. An anderer Stelle hat Stefanowitsch auch schon einmal von einer "Eindeutschungsmafia" gesprochen, die die Wikipedia für ihr unrühmliches Tun missbrauche (http://www.sprachlog.de/2013/03/05/sprachschmuggler-in-der-wikipedia/)

Tilman Krause schlägt in der WELT einen etwas unernsteren Ton an, wenn er die ästhetische Qualität deutscher Wörter wie ”Modefuzzi“ gegen die des angelsächsischen ”fashion victim“ abzuwägen versucht. (http://www.welt.de/print/die_welt/kultur/article119639936/Her-mit-den-Anglizismen.html) Bei ihm liest sich der Hinweis darauf, dass ein Wörterbuch nichts Anderes zu tun habe, als Sprachgebrauch abzubilden, und nicht, ihn zu korrigieren, jedenfalls etwas gefälliger als bei Stefanowitsch (a.a.O.). Krause kann aber auch nicht umhin, heutige Sprachpuristen mit den Deutschtümlern des 19. Jahrhunderts in Verbindung zu bringen, womit er natürlich den heutigen ”Sprachwächtern“ Hinterwäldlertum, Spießigkeit und hoffnungslose Provinzialität attestiert.

Dabei geht es dem VDS genau wie den Deutschtümlern des 19.Jahrhunderts eigentlich um etwas ganz Anderes. In der oben zitierten Presserklärung wird von sprachlichem Imponiergehabe gesprochen, und im 19. Jahrhundert lehnte sich das Bürgertum gegen den Adel auf, der seit Louis XIV französisch sprach und in seinem Lebensstil den Sonnenkönig nachzuahmen versuchte (auf Kosten des Rests der Bevölkerung). Der Satz, etwas werde "auf gut deutsch" gesagt oder geschrieben, war damals eine politische, je nach Kontext sogar revoultionäre Aussage. 

Wir haben heute wie damals ein soziales Phänomen vor uns – man höre sich einmal das Geschwafel auf Technologiemessen an – auch heute gibt es gesellschaftliche Gruppen, die sich herausheben wollen und die mit ihrer Sprache signalisieren, dass sie ganz vorne sind – wers nicht versteht, ist eben rückständig.

Sprache ist schon immer ein vorzügliches Mittel der Abgrenzung und Ausgrenzung gewesen. Jede Jugend macht sich eine neue, um zu signalisieren, dass sie mit den Alten nichts zu tun hat. Aus dieser Abgrenzungsfunktion erklärt sich auch der giftige Ton, den die Vertreter beider Extreme in diesem Streit anschlagen.

Welche Wohltat war da gestern der wunderschöne Blogeintrag von Brooks Riley, in dem sie vom Standpunkt der bei uns lebenden Fremden (vgl. Simmels Exkurs über den Fremden) mit viel Sympathie und Freundlichkeit beschreibt, welche Bewegungen zwischen den Sprachen es so gibt (http://www.3quarksdaily.com/3quarksdaily/2013/09/tip-for-tatort.html#more).  

Ich jedenfalls bleibe dabei, dass die Konjugationsformen des Verbs ”downloaden“ bescheuert klingen, wie an dieser Stelle bereits ausgeführt (http://elkasloan.blogspot.de/2013/01/re-posted-bescheuerte-anglizismen.html) Meine Begründung ist rein ästhetisch. Ich beherrsche die englische Sprache sehr gut; mein Problem ist also nicht, dass ich irgendeinen Anglizismus nicht verstehe. Ich würde mir nur wünschen, wir alle könnten diese Debatte etwas weniger giftig führen. Aus ästhetischen Gründen sollte sie durchaus geführt werden, ohne dass man sich gegenseitig als Tümler oder Sozialprotz denunziert.