Sonntag, 10. April 2016

Angela Merkel und die Macht der Bilder Teil II


Vorbemerkung: Dies ist ein privates Blog. Ich verdiene damit kein Geld. Der folgende Text besteht aus Gedanken zur Macht von Bildern; darüber kann man nicht schreiben, ohne auch Bilder zu zeigen. Alle Bilder im folgenden Post sind frei im Netz verfügbar, und ich habe überall angegeben, wer die Autoren dieser Bilder sind. Dieser Text ist die Fortsetzung von diesem: http://elkasloan.blogspot.de/2016_02_01_archive.html


Die Landtagswahlen sind vorbei, der große EU-Flüchtlingsgipfel ist vorbei – nun will ich mir mal ansehen, wie die Kanzlerin in den Medien rübergebracht wird, nachdem die Ergebnisse der Wahlen für sie suboptimal waren und sie sich auf dem EU-Gipfel zwar durchsetzen konnte, aber doch noch recht viele Fragen offen geblieben sind.

Inzwischen kommen zwar weinger Flüchtlinge ins Land, aber nur um den Preis inakzeptabler Zustände an der griechisch-mazedonischen Grenze und eines mehr als zweifelhaften Deals mit der Türkei.

Mal sehen, wie die Kanzlerin uns inzwischen von den deutschen Medien präsentiert wird.


Als ich am Nachmittag des 20.3.2016 das  Yahoo! Nachrichtenportal öffnete, machte es mit einem Beitrag auf, der mit "Merkel und Co.: So schlecht altern Politiker im Amt" überschrieben war. Dabei geht es nicht nur um Merkel, aber hier soll nur sie interessieren. Das Gesicht von "heute" zeigt sie neutral bis missmutig, während sie auf dem Vergleichsbild von "vor ein paar Jahren" deutlich ansprechender dreinblickt.


Yahoo! gibt keine Urheber an;  die Auswahl war kurzzeitig der Aufmacher des Portals am Nachmittag des 20.3.2016

Diesem Stück Infotainment zu unterstellen, es wolle die Kanzlerin "runterschreiben" wäre übertrieben. Da wird lediglich gezeigt, dass Politiker schon mal bessere Zeiten gesehen haben, die Aussage geht also eher in Richtung "schaut mal, wie die Armen heute aussehen, wie sie von ihren Ämtern aufgerieben werden." Die Zielgruppe sind sehr junge Leute, für die die Tatsache des Alterns per se ein Problem darstellt.

Der Cicero berichtet am 18. März vom so genannten Flüchtlingsgipfel in Brüssel; der Artikel ist mit einem Bild illlustriert, auf dem einzig der türkische Ministerpräsident Davutoglu zu sehen ist, wie er in diverse Mikrophone spricht. Die Männer im Hintergrund scheinen allesamt Sicherheitsbeamte zu sein. Warum ich das erwähne? Die Bildunterschrift auf der Cicero-Seite erklärts: "Er hat die Zügel in der Hand: der türkische [MP] Davutoglu.

Vorbei also die Zeiten, in denen Angela Merkel als unbestrittene Führerin Europas dargestellt wurde? Der Cicero überschrieb seinen Jahresausblick auf 2016 bereits mit den ominösen Worten: "Was Angela Merkel zu Fall bringen könnte" und bebilderte das so: 

     Bild: picture alliance, Auswahl: Cicero 29.12.2015

Staatsmännischer Weitblick, aber auch jede Menge Skepsis und Resignation liegen in diesem Gesichtsausdruck.

Als von ihren Widersachern Gejagte erscheint Merkel uns auf diesem Bild zu einem Beitrag vom 14.3.in den Deutschen Wirtschafts-Nachrichten

     Bild: dpa, Auswahl, Deutsche-Wirtschafts-Nachrichten (Bonnier-Verlag), 14.3.2016

Das Bild stammt vom CSU-Treffen in Wildbad-Kreuth im Januar, aber dass es zur Bebilderung eines Artikels augewählt wurde, der den Titel "Merkel schägt zurück; Streit über Flüchtlinge eskaliert" trägt, machte mich stutzig. Im Artikel werden nur die Ergebnisse der Landtagwahlen vom 13.3. referiert; das Bild steht nicht nur im krassen Gegensatz zur Überschrift, auch der Text lässt nicht den Schluss zu, hier wolle jemand die Kanzlerin "runterschreiben". Warum wird dann so ein Bild unter so eine Überschrift gesetzt? 

In Teil I dieser Betrachtungen hatte ich ja die These aufgestellt, die von Bildredaktionen ausgewählten Bilder kündeten als erste davon, wenn eine Figur des öffentlichen Lebens allmählich die Gunst des Kommentariats verlöre, man sich entschlossen habe, sie "runterzuschreiben".

Nun gut, die  Deutschen Wirtschafts-Nachrichten sind nicht unbedingt eins der Leitmedien dieser Republik, vielleicht hatte auch der/die Bildredakteur/in an dem Tag die Brille vergessen oder die Kontaklinsen waren verrutscht.

Die Nachrichtenseite des Bayrischen Rundfunks macht aber das Gleiche. Am 1.3. - noch vor den Landtagswahlen und dem Gipfel - sehen wir die Überschrift "Merkel gewinnt trotz Flüchtlingspolitik" und darunter dieses Bild: 

   Bild: picture alliance, Auswahl: br.de, 1.3.2016

Auch Seehofer sieht hier nicht gerade wie der große Hoffnungsträger aus, aber bei ihm passt es zum Text - dort wird über 4% minus für die CSU im neuesten ARD Deutschlandtrend berichtet. Oder wurde das Bild ausgewählt weil die Redaktion der Ansicht war, der Gesichtsausdruck der Kanzlerin spiegele grimmige Entschlossenheit? 

Am 18.3. sehen wir sie auf der gleichen Webseite unter der Überschrift "Ein Erfolg für Merkel" als die Dealmakerin von Brüssel, wie sie dem Handedruck zwischen Davutoglu und einem Mitglied des EU-Rates beiwohnt, im Hintergrund kein Geringerer als David Cameron, und endlich lächelt sie mal wieder.  (Ich glaube, der Handschüttler ist der slowenische MP Miro Cerar, zumindest sieht er ihm ähnlich)

  Bild: BR



Doch zurück zu den überregionalen Medien. 

Zeit Online sendet sehr gemischte Botschaften aus. Am 18. März lesen wir "Die EU folgt jetzt Merkels Plan", bebildert mit der Ersten unter den Gleichen aus den größten Europäischen Ländern; Friede, Freude, Eierkuchen: 

    Bild: Francois Lenoir/Getty Images, Auswahl Zeit online, 18.3.2016


An 20.3. kommt es anders: Der Text is ausgewogen, die Überschrift feiert Merkel als "Magierin der Politik", der letzte Teil des Artikels ist überschrieben: "Das Schicksal Europas in Erdogans Hand". Die Bildauswahl ist aber erstaunlich: 

Ganz oben - gleich unter der euphorischen Überschrift - sehen wir eine Gramgebeugte, die sich nach links aus dem Bild zu entfernen scheint: 

      Bild: Stephanie Lecocq/dpa, Auswahl: zeit.de                                       

Auch hier also wieder die Diskrepanz zwischen einem lobhudelnden Titel und einer entgegengesetzten Stimmung auf dem Bild.

Die gedruckte Ausgabe des Spiegel vom 19.3. zeigt zwar eine mit irgendetwas Gelbem beworfene Merkel, aber es ist offensichtlich, dass die Botschaft sich nicht gegen sie richtet:


Der Schwerpunkt des Bildes liegt eindeutig auf der Schrift, das Bild der Kanzlerin steht hier lediglich für Alle, die angeblich lügen, es ist kein Schnappschuss, sondern zeigt eine neutral-freundlich dreinblickende Landesmutter.  

Auf Spiegel Online ist der Kommentartext zu den Ergebnissen von Brüssel so ausgewogen wie die Überschrift: "Merkels Flüchtlichngs-Deal mit der Türkei: Ihr Erfolg, Ihre Verantwortung". Das Bild passt dazu:  

Bild: dpa, Auswahl Spiegel Online, undatiert

Erschöpft vom Verhandlungsmarathon und skeptisch, wies jetzt weitergeht. Der Situation angemessen, aber keineswegs als böswillig interpretierbar, diese Auswahl.

Jakob Augstein kommentiert in seiner "Im Zweifel links"-Kolumne am 14.3. die Landtagswahlen unter der Überschrift "Merkels Sieg" - die CDU habe verloren, aber die Kanzlerin habe gewonnen. Am Ende kommt er gar zu dem Schluss, die Granden der CDU sollten bloß nicht auf die Idee kommen, der Kanzlerin nicht mehr zu folgen. Das aufmachende Bild zeigt eine unbekümmert sich freuende Angela Merkel: 

 Bild: Reuters, Auswahl: Spiegel online, 14.3.

"Hätteta nich jedacht, wa?" scheint sich sich zu denken. 

Jedenfalls kann man aufgrund dieser Bildbeispiele keiner der beteiligten Redaktionen im Hause Spiegel unterstellen, man wolle dort die Kanzlerin bloßstellen oder sie gar durch "runterschreiben" beschädigen.

Auch später, nach dem Türkei-Deal, wird in einem Text vom 7.4. zwar kritisch über den Stand der Flüchtlingskrise inklusive der dazu gehörenden Spannungen in der Koalition berichtet, als Bebilderung gibt es aber nur ein paar Grenzer, die in Mittenwald auf einer regnerischen Straße herumstehen. 

Anders ist das beim Stern:
am 15. Januar berichtete der bereits über den "Brandbrief," den Merkel von etlichen CDU-Abgeordneten erhalten habe
Hier wird nur referiert; wo starke Ausdrücke fallen, sind sie Zitate oder indirekte Rede. 
Das Bild spricht dagegen eine ganz andere Sprache:

Bild: Odd Andersen/AFP, Auswahl: Stern, 15.1.2016

Dieser Frau traut keiner mehr irgendeine wie auch immer geartete Führungsrolle zu - nicht in der Union, nicht in Deutschland, und schon gar nicht in Europa. 

Unter der Überschrift "Merkels Zeit läuft ab" lesen wir ein paar Tage später einen kritischen Kommentar, der die Flüchtlingspolitik der Kanzlerin für gescheitert erklärt und sie auch in direkter Anrede angreift und zum Rücktritt auffordert. 

Bebildert ist das mit diesem Foto, das sie bein Einsteigen in ein Auto zeigt:
 

Bild: Laurent Dubrule/DPA, auswahl: Stern, 19.1.2016
 
Alle Bilder sehen aus wie Abgänge - aber Ende März hat sich das scheinbar geändert. Sie sei [immer noch] alternativlos, wird da geschrieben, allerdings unter der Überschrift "Beten für Angela", und bebildert ist das so: 



Foto: Tobias Schwarz/AFP, auswahl: Stern, 30.3.

Im Text geht es um die Frage ihrer Nachfolge, und dass sich niemand vorstellen könne, wer sie denn eigentlich ersetzten solle. Alles wenig affirmativ; auf dem Bild scheint sie sich hämisch zu freuen. 

Auf der Seite der Wirtschaftswoche sehen wir mit Datum vom 31.3. eine völlig gefrustete und aus dem Takt geratene Kanzlerin:  

Bild: dpa, Auswahl Wirtschaftswoche, 31.3.

Im Text geht es um ihre "schweren Fehler" bei der Bewätligung der Flüchtlingskrise. Die beunruhigenden Szenen vom Balkan werden beschrieben. 

Insgesamt ist es ein gemischtes Bild, das die großen Medien von Angela Merkel vermitteln. 

Sie wird einerseits massiv kritisiert, von manchen auch mit Bildern niedergemacht, aber niemand will sie wirklich "runterschreiben". Sie ist und bleibt "alternativlos".




















 

Freitag, 12. Februar 2016

Angela Merkel und die Macht der Bilder

Vorbemerkung: Dies ist ein privates Blog. Ich verdiene damit kein Geld. Der folgende Text besteht aus Gedanken zur Macht von Bildern; darüber kann man nicht schreiben, ohne auch Bilder zu zeigen. Alle Bilder im folgenden Post sind frei im Netz verfügbar, und ich habe überall angegeben, wer die Autoren dieser Bilder sind.
Dieser Text wird fortgesesetzt: http://elkasloan.blogspot.de/2016/04/angela-merkel-und-die-macht-der-bilder.html




Angela Merkel hat ein sehr wandelbares Gesicht. Verfolgt man ihre Laufbahn anhand der Bilder, die von ihr im Umlauf sind, kann man zwei Entwicklungen feststellen: Die eigentlich uneitle, nur an Sachthemen orientierte Politikerin hat irgendwann mal die persönlichen Berater gewechselt, und aus einer unattraktiven grauen Maus wurde eine ansprechend zurechtgemachte öffentliche Person:

                                           Vorher                           Nachher

                                                           

                                                           Bilder: dpa; Auswahl:dw.com, 15.4.2010

Außerdem ist zu beobachten, dass Nachrichtenredaktionen Bilder gezielt einsetzen, um Texte in ihrer Aussage zu ergänzen, oder auch um mit dem Bild eine eigenständige Aussage zu machen. Das oben gezeigte Bildpaar ist dafür beispielhaft: Um den vorher/nachher-Effekt zu unterstreichen, wurden auch noch zwei Bilder ausgesucht, auf denen der jeweilige Gesichtsausdruck sich genauso vom anderen unterscheidet wie das jeweilige Styling.

Dieser Wandel im äußeren Erscheinungsbild kam nicht von ungefähr. Am 10. April 2000 wurde AM zur neuen CDU- Parteivorsitzenden gewählt und sie nahm diese Wahl noch im alten Outfit an:
Bild: Roland Weyrauch/Keystone; Auswahl nzz.ch

In der Folge war zu beobachten, wie die Nachrichtenredaktionen dazu übergingen, Merkel-Bilder auszuwählen, auf denen sie auch noch im alten Outfit freundlich und "gut" aussieht. Sie war von "Kohls Ost-Quoten-Frau" oder "Kohls Mädchen"
 
zu einer ernst zu nehmenden Größe in der deutschen Politik geworden,
 
(Der Prinzessin-Diana-hafte, scheues-Reh-Ausdruck auf diesem Bild ist natürlich nochmal einen extra Kommentar wert, aber das würde an dieser Stelle zu weit führen)
und Bilder wie dieses verschwanden aus der aktuellen Berichterstattung: 


Bild: Stern

Stattdessen zeigte man Merkel nun so: 

Bild: imago/Dieter Bauer, Auswahl: T-Online

… oder so, 2001:


Bild: picture-alliance / ZB Klaus Franke, Auswahl: Buzzfeed.com

Der endgültige Wandel zum Outfit/Styling, das wir heute kennen, passierte im Wahlkampf 2005, in dem sie gegen Gerhard Schröder antrat und knapp gewann:

 
Foto:dpa, Auswahl Tagesspiegel


In der folgenden Zeit der Kanzlerschaft sahen wir eigentlich nur die gut aussehende Merkel, wie sie daheim und auf der Weltbühne eine respektable Figur macht, auch wenn die Zeitläufte nicht immer zum Frohsinn Anlass boten.

In der letzten Zeit hat sich das geändert. Seit sich die Flüchtlingskrise auf die Umfragewerte der Kanzlerin auszuwirken beginnt, sehen wir zunehmend eine nicht mehr so nette, gut aussehende Frau Merkel. 
Am 16. Januar bebildert Spiegel Online einen Artikel über die Gesamtsituation in Europa und Deutschland mit einer Leichenbittermiene der Kanzlerin:


Bild: Getty Images, Auswahl: Spiegel Online

Der Spiegel, das erste deutsche Nachrichtenmagazin, hat wie der oben bereits zitierte Stern beim Thema Bild immer schon Maßstäbe gesetzt; sowohl in der Auswahl von ausgezeichneten Bildern, als auch im Einsatz dieser Bilder als Bedeutungsträger. Das hier zuletzt gezeigte Bild kann man noch als Illustration für den Artikel interpretieren, der sich nun einmal mit den trüben Aussichten der europäischen Politik und der Europa-Politik der Kanzlerin beschäftigt.

Ich kann mich aber des Verdachts nicht erwehren, dass manche Leitmedien sich allmählich darauf einstellen, Frau Merkel "runterzuschreiben", und dass die Auswahl der Bilder der Anfang ist.
Zwei Bilder aus Spiegel Online verdeutlichen dies. Beide stammen aus der Berichterstattung über den Besuch von Angela Merkel bei der Klausurtagung der CSU-Bundestagsfraktion in Wildbad Kreuth im vergangenen Januar:





Hier ist sie gerade angekommen und wird von bayrisch kostümierten Menschen mit einem Blumenstrauß willkommen geheißen. Wahrscheinlich spielt auch irgendwo eine Blasmusik, alle sind entspannt; Die Kanzlerin lächelt und sieht „gut“ aus.




 
Bild: DPA, Auswahl: Spiegel

Mit diesem Schnappschuss vom gemeinsamen Presseauftritt wird das im Text beschriebene Zerwürfnis der beiden Politiker Seehofer und Merkel illustriert. Allein die Körperhaltung der beiden ist illustrativ; der Gesichtsausdruck der Kanzlerin ist ausgesprochen unwillig, sie sieht gar nicht gut aus, im Sinne von "unschön", und im Text wird auch noch über ihren Sturz spekuliert.

Im Handelsblatt sehen wir Merkel am 7. Januar gramgebeugt. Im Text ist vom Druck die Rede, unter dem sie steht.


 
Bild: dpa, Auswahl: handelsblatt.com

Die Deutsche Welle lässt Merkel am 20.1. im Regen stehen:



Während sowas in der "Jungen Freiheit" (29.1.2016) nicht weiter verwundert, Foto: picture alliance/AA

… war ich bei der "Zeit" am 6. Februar doch einigermaßen erstaunt, die Kanzlerin derartig miesepetrig zu sehen:

Bild: Roland Weyrauch/dpa

Ich war deshalb erstaunt, weil der dazu gehörige Text – ein Kommentar aus "Christ und Welt" – der Kanzlerin eigentlich wohl will. Darin wird hervorgehoben, dass es dem Land gut geht und dass das berühmte "Wir schaffen das" der Kanzlerin durchaus noch seine Berechtigung hat
Was wollen die Redakteure uns mit diesen Bildern sagen?
Gibt man bei Google Bilder "Angela Merkel 2016" ein, findet man überwiegend Fotos, auf denen das Gesicht der Regierungschefin ratlos, grimmig oder gelangweilt wirkt.  2008 und 2009 - da hatten wir eine Finanzkrise - ist der Anteil der Fotos, auf denen Merkel freundlich dreinblickt, jedenfalls höher.
 Ja, sie steht unter Beschuss, auch aus den eigenen Reihen, aber die Redaktionen stehen doch nicht auf der Seite derer, die sie unter Druck setzen. Warum wird am 27.12. 2015 in der Welt eine Textstelle über Seehofers kritikwürdiges Verhalten Merkel gegenüber mit diesem Bild illustriert: 
 
 Foto: dpa, Auswahl: Welt 
Im November, in der aktuellen Berichterstattung über dieses Ereignis, war der Bayernkurier noch wesentlich freundlicher gewesen: 
 
Foto: CSU, Auswahl: Bayernkurier

Oder hier, nochmals die "Zeit" zum Thema Wildbad Kreuth: 
  Bild: Michaela Rehle/Reuters, Auswahl: Die Zeit
Der dazugehörige Text ist neutral und wiederholt nur knapp die Meinungsverschiedenheiten zwischen Kanzlerin und CSU.
Bei der FAZ scheint die Welt wieder in Ordnung zu sein, in einem Artikel von gestern über die Befindlichkeit der Union in Zeiten von drei Wahlkämpfen sehen wir die Parteivorsitzende als positive Leitfigur: 
 
Hier sogar noch neben einem sinister dreinblickenden  Seehofer
 
Es bleibt abzuwarten, wie uns die Kanzlerin nach den anstehenden Landtagswahlen gezeigt werden wird. Das heißt natürlich, es hängt vom Ausgang dieser Wahlen ab.  











 

Sonntag, 5. Juli 2015

Nachgedanken zum diesjährigen Bachmannpreis



Soeben sind die Tage der deutschsprachigen Literatur in Klagenfurt mit der Verleihung des Bachmannpreises und anderer Auszeichnungen zu Ende gegangen. Meine Nachgedanken kreisen um zwei verschiedene Themen, die Einiges miteinander zu tun haben: Vom Allgemeinen aufs Besondere gehend sind das
1. (So platt das klingt) Die unglaublichen Umwälzungen des 20. Jahrhunderts, das wurde angestoßen von den Texten der beiden Autorinnen Anna Baar, die bei der Preisverleihung leider leer ausging, und der 3sat-Preisträgerin Dana Grigorcea einer rumänisch-stämmigen Schweizerin.

Daraus ergibt sich nahtlos
2. Die Einwanderung in deutschsprachige Länder. In allen Dreien gibt es Stimmen, die dieses simple Faktum mit einem teilweise recht skandalösen Zungenschlag kommentieren

Ich fange bei 2 an: 2015 war das vierte Mal, an das ich mich erinnern kann, dass bei deutschsprachigen Literaturwettbewerben ein Preis an jemanden vergeben wurde, die seinen/ihren Text mit einem osteuropäischen Akzent vorgetragen hat. Ich meine Dana Grigorcea, der dieses Jahr der 3sat-Preis zuerkannt wurde. 2013 erhielt Katja Petrowskaja den Bachmannpreis, 2012 Olga Martynova. Auch in Leipzig erhielt 2014 mit Saša Stanišič jemand den Preis, der in unserer Sprache denkt und schreibt, dessen Herkunft aber in seinem Akzent noch mitschwingt, wenn er sie spricht.

Man muss diese vier AutorInnen gehört haben! Die Juroren in Klagenfurt thematisieren immer wieder, dass sie einen Spagat vollziehen müssen zwischen der Textkritik, also der Text und nichts als der Text, und der Performance, mit der dieser Text im ORF-Theater in Klagenfurt vorgetragen wird. Mit diesen Überlegungen will ich mich gar nicht aufhalten. Für mich waren die unterschiedlichen Akzente immer eine Bereicherung, und es wird Zeit, dass sich Österreicher, Schweizer und Deutsche allmählich mal dran gewöhnen, dass es sie gibt. Man stelle sich die genannten AutorInnen in neutralem Bühnen-Hochdeutsch vor. Geht gar nicht. Der Akzent gehört einfach zu ihnen, und er gibt der Lesung eine Klangfarbe, die uns nicht vergessen lässt, wodurch denn Europa so durcheinandergeworfen worden ist. Natürlich gilt das auch für jeden anderen Akzent, mit dem unsere Sprache inzwischen gesprochen wird, aber hier waren es eben Ost-Europäer.

Das bringt mich zum ersten Punkt, dem Allgemeinen. Für diese Überlegungen war auch Anna Baar ausschlaggebend, die in ihrem Text den Konflikt zwischen einer österreichischen Jugendlichen und ihrer kroatischen Großmutter beschreibt. Vorgetragen war das übrigens nicht einmal mit einem österreichischen Akzent, sondern in genau jenem neutralen Bühnen-Hochdeutsch.

Anna Baar beschreibt Symptome, und es reichen ganz wenige Andeutungen aus, um zu verstehen, worin das Leiden der geschilderten Großmutter besteht, nämlich aus den Verletzungen, die sie davontragen musste, einfach weil sie in einer bestimmten Gegend lebt, die im 20. Jahrhundert von Kriegen und Bürgerkriegen besonders schwer heimgesucht wurde, denn dort war nicht 1945 Schluss damit. Wer bei uns in der unmittelbaren Nachkriegszeit auf dem Land aufgewachsen ist, wird Etliches im Verhalten dieser alten Frau wiedererkennen, was es in der gleichen Form auch bei uns gegeben hat. Die Ursachen sind nicht nur die Not und die Verletzungen, die Kriege immer nach sich ziehen, sondern auch die vormodernen Prägungen vieler Menschen, die ihre Opfer geworden sind.

Eine der Ursachen der eingangs erwähnten Umwälzungen des 20. Jahrhunderts, und der Verletzungen, die so viele Menschen davontragen mussten, war der Totalitarismus. Er konnte nur gedeihen wegen dieser Vormoderne, denn Alle, die die Moderne nicht verstanden und sich von ihr bedroht fühlten, fühlten sich zunächst bestens in ihm aufgehoben und ließen sich höchst freiwillig von ihm instrumentalisieren.
Im Text der 3sat-Preisträgerin Dana Grigorcea wird der Totalitarismus auf die einzig mögliche Art und Weise beschrieben: als Realsatire. Da sie nun über 25 Jahre nach der Überwindung des Ceaușescu-Regimes schreibt, gibt sie uns auch einen Eindruck davon, wie es weiterging: Michael Jackson kommt nach Rumänien und wird mit einer durchaus an totalitäre Muster erinnernden Inszenierung wie ein Erlöser gefeiert, aber er spricht eine durch nichts wiedergutzumachende Kränkung aus: Er grüßt die ihm zu Füßen stehende Menge mit "Hello, Budapest".

Einen würdigen Abschluss fand dieser Text über den Totalitarismus und seine Folgen mit Mutmaßungen zweier im Silicon Valley reich gewordener Exilrumänen über das Sexleben von Nicolae und Elena Ceaușescu.

Ich musste bei Dana Grigorceas Text an den rumänischen Künstler Dan Perjovschi denken. Zur Eröffnung einer Ausstellung seines Werks in Frankfurt hat der einmal seine Präsentation mit einer nächtlichen Satellitenaufnahme Europas von vor 1989 begonnen. Ganz Europa war erleuchtet, der Osten deutlich weniger, aber man konnte doch die Zentren Warschau, Prag, etc. deutlich ausmachen. Von Rumänien sah man: Nichts. Stockfinstere Nacht herrschte da – kein Wunder, dass die Presseabteilung von Michael Jackson nicht wusste, wie die Hauptstadt dieser Nation hieß, und dass die reich gewordenen Emigranten keinen interessanteren Gesprächsstoff finden.

Ein weiteres umnachtetes Land in Europa war das Albanien Enver Hoxhas. Auch dort ist der Alltag des Regimes nach dessen Ende satirisch beschrieben worden: Ich meine Ismail Kadare und seinen Roman "Spiritus". Ich sehe dieses Buch in einer Reihe mit "Schnapsstadt" von Mo Yan und Michail Bulgakows "Der Meister und Margarita". In allen drei Romanen geht es um die Absurditäten des Lebens in einem totalitären Regime. Die Länder, in denen diese Regime errichtet wurden, waren alle, inklusive Rumänien, bis zur Machtergreifung ihrer Diktatoren zutiefst vormoderne Länder gewesen, und entsprechend einfach hat es der Totalitarismus in ihnen gehabt (natürlich zeigt der Fall Deutschland, dass das allein nicht der Grund gewesen sein kann, aber das will ich an dieser Stelle nicht erörtern). 

Durch das absolute Verbot jeglicher Diskussion über die Verhältnisse verharrten die totalitär regierten Länder jahrzehntelang in ihren vormodernen Denkweisen, um dann ohne Umschweife in die Postmoderne katapultiert zu werden, als die Regime endlich zusammenbrachen. Die Michael-Jackson-Szene und die Mutmaßungen über das Sexleben der Ceaușescus im Text von Dana Grigorcea bringen das wunderbar auf den Punkt.
Der Text von Anna Baar machte deutlich, dass wir noch lange an dieser Vormoderne zu knabbern haben werden. Anna Baar stellte einen Generationenkonflikt dar, der sich oberflächlich als Konflikt zwischen der schieren Existenzangst, wie sie nur durch materielle Armut und Kriegsereignisse entstehen kann, mit der wohlstandsbürgerlichen Entspanntheit der Nachgeborenen-Generation deuten lässt. Die Autorin lässt aber die noch tiefer liegenden Muster des vormodernen Habitus keineswegs unerwähnt – das Verhältnis von Mann und Frau, das Fehlen von Gewalt-Tabus, das alltägliche Misstrauen Aller gegen Alle. Mich frappiert immer wieder, wie universell das alles ist – gerade bei Leuten die auf ihrer nationalen/ethischen/religiösen oder sonst was für einer Einzigartigkeit beharren.