Dienstag, 5. Februar 2013

Game-Boys und Little Miss Sunshines



@HomoCarnula hat heute um die Mittagszeit folgenden Tweet abgesetzt:
"Leute, eure Gründe sind mir scheissegal. 5jährige Mädchen sollten nicht geschminkt wie ein Pfingstochse durch die Gegend rennen. HAKTS?" 

Hoch interessant, dieser Tweet. Ich habe natürlich keine Ahnung, was @HomoCarnula dazu gebracht hat, diese Worte zu twittern, aber sie haben bei mir sofort einige Überlegungen ausgelöst. @HomoCarnula spricht mir aus der Seele, das gleich einmal vorweg, ich möchte hier nicht irgendein Für und Wider oder die Berechtigung dieser Aussage diskutieren. Ich teile @HomoCarnula’s Ansicht voll und ganz.

Mein zweiter Gedanke war die Frage, warum das so ist, und warum bestimmt ein großer Teil der heutigen Erwachsenen diese Ansicht teilen würden, wenn man sie spontan dazu befragte.

Am Montag Abend habe ich die Talkshow "Hart aber Fair" im Fernsehen gesehen, bei der es um die digitalen Medien und ihren Einfluss auf Kinder ging. Die Argumente waren vorhersehbar. Die Waldorf-Fraktion lehnt es bis zum heutigen Tag sogar ab, Kinder mit Fernsehen zu konfrontieren, und der anwesende Pirat sagte zuerst ein paar kluge Dinge, zog es dann aber vor, resigniert zu schweigen. Der große Gewinner der Diskussion war Ranga Yogeshwar, der in beiden Lagern Glaubwürdigkeit genießt, und der mit seinem Moderatoren-Talent ausgleichend wirkte. 

In der Diskussion wurde über eine Frage gestritten, die auch dem Tweet von @HomoCarnula zu Grunde liegt: Wie definieren wir Kindheit? 

Mein Mann und ich haben nach der Sendung noch heftig weiter diskutiert, und es kamen auch bei uns einige interessante Aspekte zum Vorschein. Bei Plasberg wurden Kinder gezeigt, die anlässlich eines Zeltlagers mitten in der Natur bei schönem Wetter auf einer Bank saßen und ohne voneinander Notiz zu nehmen, in ihre digitalen Spielzeuge vertieft waren. Ich fand das eigentlich auch ziemlich bescheuert – weil ich der Ansicht war, dass das unnatürlich sei und den eigentlichen Bedürfnissen eines Kindes zuwider liefe. Dem hielt mein Mann entgegen, dass kein Erwachsener, auch kein akademisch gebildeter Pädagoge, wissen könne, was die natürlichen Bedürfnisse eines Kindes seien. Wir können uns Alle nur erinnern, wie wir uns als Kinder gefühlt haben. Mein Mann hat nur albtraumhafte Erinnerungen an die Zeltlager seiner Kindheit. Er hatte da nie Lust dazu und er kann es nicht als ein natürliches Kinderbedürfnis ansehen, in der freien Natur herumzutoben. 

Genauso geht es mir mit aufgedonnerten kleinen Mädchen. Ich kann mich nicht erinnern, meiner Mutter jemals irgendwelche Kosmetika entwendet zu haben, oder versucht zu haben, ihre Klamotten oder hochhackigen Schuhe anzuziehen. Hübsch sein, Prinzessin sein wollte ich schon, aber für mich war das wohl etwas Anderes als wie eine erwachsene Frau herumzulaufen. 

Was mich aufregt, wenn ich aufgebrezelte kleine Mädchen sehe, ist die Negierung von Kindheit, die aus der Maskerade spricht. Wunderbar passt hier auch der Film "Little Miss Sunshine", der vor kurzem auf 3sat zu sehen war.

Genauso haben Alle, die finden, digitale Spielzeuge seien nicht gut für die Entwicklung der Kinder, ihre ganz spezifischen Vorstellungen davon, was Kindheit sei und was für Kinder angemessen sei. 

Der Begriff von "Kindheit" als Lebensabschnitt, während dessen sich ein Mensch entwickelt, und während dessen er gehegt und gefördert werden müsse, ist ja in der Menschheitsgeschichte relativ neu. Wir gehen landläufig davon aus, dass er durch Rousseau (1712-1778) ins allgemeine Bewusstsein gekommen ist.

Vorher waren Kinder kleine Erwachsene. Sie wurden hingerichtet, wenn man der Ansicht war, dass sie sich etwas Entsprechendes hatten zuschulden kommen lassen, und sie mussten arbeiten, was immer sie mit ihren schwachen Kräften leisten konnten. 

Auf Gemälden der Breughels sehen wir Ansammlungen von Menschen unterschiedlicher Größe – ihre Kleidung und ihre Beschäftigungen sind die gleichen. Die Erwachsenen spielen und die Kinder sind auch im Bordell immer mittenmang. 

An der Spitze der sozialen Pyramide sehen wir ernste kleine Erwachsene auf Miniaturen, die zur Illustrierung von Heiratsverhandlungen dienten, oder auf den Riesenpräsentationen der Hofgesellschaften, wie sie Velasquez hinterlassen hat. Wir bemitleiden diese Kinder und wir wenden uns mit Grausen von den Little Miss Sunshines ab, denn uns scheint, dass sie nie Kinder sein durften. 

Mir scheint nach all diesen Überlegungen, dass wir alle unsere Kinder nach einem bestimmten Bild zu schaffen versuchen, das wir von Kindheit haben. Dieses Bild entsteht entweder durch angenehme Erinnerungen an die eigene Kinderzeit, oder durch Wünsche nach etwas, das man als Kind nicht hatte und von dem man nicht möchte, dass es den eigenen Kindern fehlt. 

Männer, die in ihrer Kindheit viel getobt und im Freien gespielt haben, und die sich mit angenehmen Gefühlen daran erinnern, werden immer bestrebt sein, ihren Kindern diese Form von Freiheit zu ermöglichen, genau wie diejenigen, denen das nicht möglich war, und die sich immer danach gesehnt haben.

Was in Frauen vorgeht, die ihre Töchterchen aufbrezeln und zu Little Miss Sunshines machen, das kann ich mir allerdings nicht vorstellen.

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