@HomoCarnula hat heute um die Mittagszeit folgenden Tweet
abgesetzt:
"Leute, eure Gründe sind mir
scheissegal. 5jährige Mädchen sollten nicht geschminkt wie ein Pfingstochse
durch die Gegend rennen. HAKTS?"
Hoch interessant, dieser Tweet. Ich habe natürlich keine
Ahnung, was @HomoCarnula dazu gebracht hat, diese Worte zu twittern, aber sie
haben bei mir sofort einige Überlegungen ausgelöst. @HomoCarnula spricht mir
aus der Seele, das gleich einmal vorweg, ich möchte hier nicht irgendein Für
und Wider oder die Berechtigung dieser Aussage diskutieren. Ich teile @HomoCarnula’s
Ansicht voll und ganz.
Mein zweiter Gedanke war die Frage, warum das so ist, und
warum bestimmt ein großer Teil der heutigen Erwachsenen diese Ansicht teilen
würden, wenn man sie spontan dazu befragte.
Am Montag Abend habe ich die Talkshow "Hart aber Fair"
im Fernsehen gesehen, bei der es um die digitalen Medien und ihren Einfluss auf
Kinder ging. Die Argumente waren vorhersehbar. Die Waldorf-Fraktion lehnt es bis
zum heutigen Tag sogar ab, Kinder mit Fernsehen zu konfrontieren, und der
anwesende Pirat sagte zuerst ein paar kluge Dinge, zog es dann aber vor,
resigniert zu schweigen. Der große Gewinner der Diskussion war Ranga Yogeshwar,
der in beiden Lagern Glaubwürdigkeit genießt, und der mit seinem Moderatoren-Talent
ausgleichend wirkte.
In der Diskussion wurde über eine Frage gestritten, die auch
dem Tweet von @HomoCarnula zu Grunde liegt: Wie definieren wir Kindheit?
Mein Mann und ich haben nach der Sendung noch heftig weiter
diskutiert, und es kamen auch bei uns einige interessante Aspekte zum
Vorschein. Bei Plasberg wurden Kinder gezeigt, die anlässlich eines Zeltlagers mitten
in der Natur bei schönem Wetter auf einer Bank saßen und ohne voneinander Notiz
zu nehmen, in ihre digitalen Spielzeuge vertieft waren. Ich fand das eigentlich
auch ziemlich bescheuert – weil ich der Ansicht war, dass das unnatürlich sei
und den eigentlichen Bedürfnissen eines Kindes zuwider liefe. Dem hielt mein
Mann entgegen, dass kein Erwachsener, auch kein akademisch gebildeter Pädagoge,
wissen könne, was die natürlichen Bedürfnisse eines Kindes seien. Wir können
uns Alle nur erinnern, wie wir uns als Kinder gefühlt haben. Mein Mann hat nur
albtraumhafte Erinnerungen an die Zeltlager seiner Kindheit. Er hatte da nie
Lust dazu und er kann es nicht als ein natürliches Kinderbedürfnis ansehen, in
der freien Natur herumzutoben.
Genauso geht es mir mit aufgedonnerten kleinen Mädchen. Ich
kann mich nicht erinnern, meiner Mutter jemals irgendwelche Kosmetika entwendet
zu haben, oder versucht zu haben, ihre Klamotten oder hochhackigen Schuhe
anzuziehen. Hübsch sein, Prinzessin sein wollte ich schon, aber für mich war
das wohl etwas Anderes als wie eine erwachsene Frau herumzulaufen.
Was mich aufregt, wenn ich aufgebrezelte kleine Mädchen
sehe, ist die Negierung von Kindheit, die aus der Maskerade spricht. Wunderbar
passt hier auch der Film "Little Miss Sunshine", der vor kurzem auf
3sat zu sehen war.
Genauso haben Alle, die finden, digitale Spielzeuge seien
nicht gut für die Entwicklung der Kinder, ihre ganz spezifischen Vorstellungen
davon, was Kindheit sei und was für Kinder angemessen sei.
Der Begriff von "Kindheit" als Lebensabschnitt,
während dessen sich ein Mensch entwickelt, und während dessen er gehegt und gefördert
werden müsse, ist ja in der Menschheitsgeschichte relativ neu. Wir gehen
landläufig davon aus, dass er durch Rousseau (1712-1778) ins allgemeine
Bewusstsein gekommen ist.
Vorher waren Kinder kleine Erwachsene. Sie wurden
hingerichtet, wenn man der Ansicht war, dass sie sich etwas Entsprechendes
hatten zuschulden kommen lassen, und sie mussten arbeiten, was immer sie mit
ihren schwachen Kräften leisten konnten.
Auf Gemälden der Breughels sehen wir Ansammlungen von Menschen
unterschiedlicher Größe – ihre Kleidung und ihre Beschäftigungen sind die gleichen. Die
Erwachsenen spielen und die Kinder sind auch im Bordell immer mittenmang.
An der Spitze der sozialen Pyramide sehen wir ernste kleine
Erwachsene auf Miniaturen, die zur Illustrierung von Heiratsverhandlungen
dienten, oder auf den Riesenpräsentationen der Hofgesellschaften, wie sie Velasquez
hinterlassen hat. Wir bemitleiden diese Kinder und wir wenden uns mit Grausen
von den Little Miss Sunshines ab, denn uns scheint, dass sie nie Kinder sein
durften.
Mir scheint nach all diesen Überlegungen, dass wir alle
unsere Kinder nach einem bestimmten Bild zu schaffen versuchen, das wir von
Kindheit haben. Dieses Bild entsteht entweder durch angenehme Erinnerungen an
die eigene Kinderzeit, oder durch Wünsche nach etwas, das man als Kind nicht
hatte und von dem man nicht möchte, dass es den eigenen Kindern fehlt.
Männer, die in ihrer Kindheit viel getobt und im Freien
gespielt haben, und die sich mit angenehmen Gefühlen daran erinnern, werden
immer bestrebt sein, ihren Kindern diese Form von Freiheit zu ermöglichen,
genau wie diejenigen, denen das nicht möglich war, und die sich immer danach
gesehnt haben.
Was in Frauen vorgeht, die ihre Töchterchen aufbrezeln und
zu Little Miss Sunshines machen, das kann ich mir allerdings nicht vorstellen.
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